Montag, 19. September 2011
"Abendland"
„Abendland“

In einem gewissen Alter ist das Leben weitgehend gelebt. Die Rede ist vom Lebensabend. Gibt es auch eine Lebensnacht? Und ist diese überhaupt an ein Alter geknüpft, dieses Drama voller Irrtümer, Schmerzen und ständigem Verlust?
Da aber dürfen dann auch nicht die lichten Momenten und die bescheidenen Freuden über jede irdische Kreatur, über Fauna und Flora verschwiegen werden. Sagt man „das Leben ist schön“, so sagt man auch es ist „schön schwer“ und die Schönheit mag Trost spenden, aber ist das Positive überhaupt noch tragfähig? In diesem grenzenlosen Universum ist der Mensch herausgerückt in einer universalen Einsamkeit. Die Welt antwortet nicht auf letzte Fragen. Diesem Schweigen der Welt begegnet der Mensch mit dem hilflosen Versuch untereinander zu kommunizieren. Die Sprache aber entzieht sich, insofern sie nicht ins Künstlerische verwandelt wird.
Die alten Götter haben den Lebensraum des Homo sapiens verlassen. Mehr noch. Einige Denker erkennen, dass entweder der Gott auf der Flucht vor den Menschen ist oder proklamieren dessen Ende.
Letztlich bleibt nur das Talent des Künstlerischen. In der Kunst begegnet der Mensch sich selbst in all seiner Drangsal und einem Echo euphorischen Lebens. Die Kunst weist keinen Weg aus dem Labyrinth der Existenz, aber sie vereinfacht das lebenslange Irren und Suchen und kann den Absturz des Lebendigen in diesen gähnenden existentiellen Abgrund verhindern.

Jürgen Kramer
"Abendland"

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