Samstag, 19. September 2009
Zur Gnoseologie von Hans Jonas
1958 erschien das Standardwerk von Hans Jonas zur Gnosis: "Gnosis - Die Botschaft des fremden Gottes" in englischer Sprache. Seit 1999 liegt eine Übersetzung des Buches im Insel-Verlag vor, jetzt auch als Taschenbuch. Einer der interessantesten Aspekte des Werkes ist, dass Jonas die Gnosis "existentialistisch liest", d.h. die nihilistischen Züge der Gnosis mit dem existentialistischen Nihilismus vergleicht. Da ist wiederum sein Epilog "Gnostizismus, Existentialismus und Nihilismus" von Bedeutung (S. 377 - S.400 der Tb-Ausgabe). Es darf erlaubt sein, hier eine wesentliche Stelle daraus zu zitieren:
Ein kardinaler Unter-
schied zwischen gnostischem und existentialistischem Dualis-
mus ist nicht zu übersehen: Der gnostische Mensch ist geworfen
in eine widergöttliche und daher widermenschliche Natur; der
moderne Mensch in eine gleichgültige. Erst letzteres bedeutet
das absolute Vakuum, den wirklich bodenlosen Abgrund. Das
Feindliche, Dämonische ist immer noch anthropomorph, ver-
traut selbst in seiner Fremdheit, und der Gegensatz als solcher
gibt dem Dasein Richtung - zwar eine negative Richtung, aber
eine, die hinter sich die Sanktion der negativen Transzendenz
hat, zu der die Positivität der Welt der qualitative Widerpart ist.
Nicht einmal diese antagonistische Qualität ist der neutralen
Natur der modernen Wissenschaft gewährt, und dieser Natur
kann keinerlei Richtung abgewonnen werden. Das macht den
modernen Nihilismus um vieles radikaler und verzweifelter, als
gnostischer Nihilismus mit all seinen Schrecken vor der Welt
und seiner Auflehnung gegen ihre Gesetze je sein konnte. Daß
die Natur sich nicht kümmert, ist der wahre Abgrund. Daß
nur der Mensch sich kümmert, in seiner Endlichkeit nichts als
den Tod vor sich, allein mit seiner Zufälligkeit und der ob-
jektiven Sinnlosigkeit seiner Sinnentwürfe, ist wahrlich eine
präzedenzlose Lage.
Aber eben dieser Unterschied, der die größere Tiefe des mo-
dernen Nihilismus enthüllt, stellt auch seine Selbsteinstimmig-
keit in Frage. Der gnostische Dualismus war bei aller Phanta-
stik wenigstens widerspruchslos. Die Idee einer dämonischen
Natur, gegen die das Selbst sich zu gewinnen hat, ist sinnvoll."
Zur Gnoseologie von Hans Jonas

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