Sonntag, 30. Oktober 2011
Der "Geiststein" bei Stuttgart
rabe500, 10:00h
"Sommer 1991. Mit einer Gruppe von Leuten bewege ich mich durch
einen Wald östlich von Stuttgart. Wir unterhalten uns, reden, debattie-
ren. Plötzlich verebben die Gespräche. Jemand setzt zu einem Satz an,
der unter den Blicken der Gruppe gleich wieder erstirbt. Der Pfad ver-
engt sich, so daß wir nur noch hintereinander gehen können. Die Natur
wirft die plötzliche Ruhe der Gruppe zurück wie ein Echo. Nur in der
Feme erschallt der Ruf eines Habichts, so als wolle er unsere Annähe-
rung verkünden. Dann weitet sich die Sicht plötzlich wieder. Ich blicke
auf einen Felsen, der aus der Erde hervorzuquellen scheint. Bäume
schmiegen sich mit ihren Wurzeln um ihn, nur von einer dünnen Erd-
krume vom blanken Fels getrennt. Sie umarmen ihn, wie in Liebe
vereint. Am Fuß des Felsens tritt irgendwo, verdeckt von Sträuchem
und Krautern, eine Quelle oder ein Bach hervor. Das Glucksen vereint
sich mit der Stille des Ortes zu einer ruhigen Melodie.
Wir bewegen uns weiter - am Felsen vorbei. Selbst die Gedanken
scheinen sich zu beruhigen. Da taucht ein neuer Felsen auf. Einige
beschleunigen ihre Schritte und halten direkt auf ihn zu, andere begin-
nen, ihn in einem weiten Bogen zu umkreisen und nahem sich ihm auf
eine sehr sanfte, ja weibliche, weil spiralförmige Art. Ich gehöre zu den
ersten. Schnell stehe ich vor ihm, und ebenso schnell scheine ich von
ihm wieder zurückgedrängt zu werden. Etwas hält mich davon ab, ihn
direkt zu berühren. So stehe ich erst eine Weile still vor dem Stein, bis
ich mich getraue, ihn anzufassen. Und jetzt scheint er sich mir zu öff-
nen, ich kann den Stein betasten, ihn spüren, sowohl seine Rauhigkeit
als auch seine innere Weichheit. Mit geschlossenen Augen lehne ich an
ihm, vergesse die Gruppe, werde schließlich selbst zum Stein."
(Zit. n. Stefan Brönnle: Landschaften der Seele, München 1994)
Der "Geiststein" bei Stuttgart
einen Wald östlich von Stuttgart. Wir unterhalten uns, reden, debattie-
ren. Plötzlich verebben die Gespräche. Jemand setzt zu einem Satz an,
der unter den Blicken der Gruppe gleich wieder erstirbt. Der Pfad ver-
engt sich, so daß wir nur noch hintereinander gehen können. Die Natur
wirft die plötzliche Ruhe der Gruppe zurück wie ein Echo. Nur in der
Feme erschallt der Ruf eines Habichts, so als wolle er unsere Annähe-
rung verkünden. Dann weitet sich die Sicht plötzlich wieder. Ich blicke
auf einen Felsen, der aus der Erde hervorzuquellen scheint. Bäume
schmiegen sich mit ihren Wurzeln um ihn, nur von einer dünnen Erd-
krume vom blanken Fels getrennt. Sie umarmen ihn, wie in Liebe
vereint. Am Fuß des Felsens tritt irgendwo, verdeckt von Sträuchem
und Krautern, eine Quelle oder ein Bach hervor. Das Glucksen vereint
sich mit der Stille des Ortes zu einer ruhigen Melodie.
Wir bewegen uns weiter - am Felsen vorbei. Selbst die Gedanken
scheinen sich zu beruhigen. Da taucht ein neuer Felsen auf. Einige
beschleunigen ihre Schritte und halten direkt auf ihn zu, andere begin-
nen, ihn in einem weiten Bogen zu umkreisen und nahem sich ihm auf
eine sehr sanfte, ja weibliche, weil spiralförmige Art. Ich gehöre zu den
ersten. Schnell stehe ich vor ihm, und ebenso schnell scheine ich von
ihm wieder zurückgedrängt zu werden. Etwas hält mich davon ab, ihn
direkt zu berühren. So stehe ich erst eine Weile still vor dem Stein, bis
ich mich getraue, ihn anzufassen. Und jetzt scheint er sich mir zu öff-
nen, ich kann den Stein betasten, ihn spüren, sowohl seine Rauhigkeit
als auch seine innere Weichheit. Mit geschlossenen Augen lehne ich an
ihm, vergesse die Gruppe, werde schließlich selbst zum Stein."
(Zit. n. Stefan Brönnle: Landschaften der Seele, München 1994)
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