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Dienstag, 20. Oktober 2009
Gnosis, Teil 3
rabe500, 00:49h
"Gnosis" heißt "Wissen" oder "Erkenntnis", wobei die Erkenntnis als Mittel der Erlösung gedacht wird, ja, sogar als Form der Erlösung selbst. Dazu schreibt Hans Jonas (1903 - 1993) in "Gnosis. Die Botschaft des fremden Gottes (Erstausgabe 1957)":
" Daher ist in den radikaleren Systemen, etwa
dem valentinianischen, das »Wissen« nicht nur ein Mittel zur
Erlösung, sondern an sich schon die Form selbst, in der man
das Ziel der Erlösung, also die letzte Vollendung, besitzt. Da-
bei wird behauptet, Erkennen und Einwohnung des Erkannten
fielen in der Seele zusammen - der Anspruch jeder wahren My-
stik. Gewiß ist dies auch der Anspruch der griechischen theoria,
allerdings in einem anderen Sinne. Diese, als Schau der Vernunft,
hat es mit der Erkenntnis des Universalen zu tun, den wandel-
losen Strukturen des Seins, und das kognitive Verhältnis ist ein
gleichsam visuelles, vergleichbar dem des Auges zu den generi-
schen Formen der Sinnendinge. Höchstes Objekt der theoreti-
schen Vernunft sind die ewigen ersten Prinzipien allen Seins, die
auch wohl »göttlich« heißen. In ihrer Betrachtung erhebt sich
der zeitliche Geist vorübergehend ins Zeitlose, zu einer Teilhabe
am Ewigen, doch dies selbst tut nichts dazu, wird nicht davon
berührt, die Distanz des Sehens verbleibt und mit ihr die Einsei-
tigkeit des Subjekt-Objekt-Verhältnisses. Im Unterschied dazu
versteht sich gnostisches »Erkennen« als reziprok, als gleichzei-
tig (von Gott) Erkanntwerden. Es richtet sich nicht aufs Allge-
meine, sein Ziel ist vielmehr das ganz und gar Besondere (denn
auch die transzendente Gottheit ist immer noch ein Besonde-
res), und dieses muß sich selbst aktiv zu erkennen geben. Wäh-
rend hellenische Vernunft sich von den Formen, die sie betrach-
tet, »informieren« (gestalten, bilden) läßt, soll gnosis das Sub-
jekt »transformieren« (von »Seele« zu »Geist«), und zwar durch
die substantielle Vereinigung mit einer Realität, die in Wahrheit
selbst das höchste Subjekt in der Situation ist und strenggenom-
men überhaupt niemals Objekt wird."
Gnosis, Teil 3
" Daher ist in den radikaleren Systemen, etwa
dem valentinianischen, das »Wissen« nicht nur ein Mittel zur
Erlösung, sondern an sich schon die Form selbst, in der man
das Ziel der Erlösung, also die letzte Vollendung, besitzt. Da-
bei wird behauptet, Erkennen und Einwohnung des Erkannten
fielen in der Seele zusammen - der Anspruch jeder wahren My-
stik. Gewiß ist dies auch der Anspruch der griechischen theoria,
allerdings in einem anderen Sinne. Diese, als Schau der Vernunft,
hat es mit der Erkenntnis des Universalen zu tun, den wandel-
losen Strukturen des Seins, und das kognitive Verhältnis ist ein
gleichsam visuelles, vergleichbar dem des Auges zu den generi-
schen Formen der Sinnendinge. Höchstes Objekt der theoreti-
schen Vernunft sind die ewigen ersten Prinzipien allen Seins, die
auch wohl »göttlich« heißen. In ihrer Betrachtung erhebt sich
der zeitliche Geist vorübergehend ins Zeitlose, zu einer Teilhabe
am Ewigen, doch dies selbst tut nichts dazu, wird nicht davon
berührt, die Distanz des Sehens verbleibt und mit ihr die Einsei-
tigkeit des Subjekt-Objekt-Verhältnisses. Im Unterschied dazu
versteht sich gnostisches »Erkennen« als reziprok, als gleichzei-
tig (von Gott) Erkanntwerden. Es richtet sich nicht aufs Allge-
meine, sein Ziel ist vielmehr das ganz und gar Besondere (denn
auch die transzendente Gottheit ist immer noch ein Besonde-
res), und dieses muß sich selbst aktiv zu erkennen geben. Wäh-
rend hellenische Vernunft sich von den Formen, die sie betrach-
tet, »informieren« (gestalten, bilden) läßt, soll gnosis das Sub-
jekt »transformieren« (von »Seele« zu »Geist«), und zwar durch
die substantielle Vereinigung mit einer Realität, die in Wahrheit
selbst das höchste Subjekt in der Situation ist und strenggenom-
men überhaupt niemals Objekt wird."
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